Paris-Tipp: Hier isst niemand allein

Paris-Tipps, die in fast jedem Reiseführer stehen, sollen hier eigentlich nicht noch mal auftauchen. Weil heute Donnerstag ist, gibt es eine kleine Ausnahme. Und ein paar Worte zum Restaurant Bouillon Chartier.

Eine einfache Mahlzeit für Jedermann: Das Chartier ist  als Monument historique eingestuft.

Eine einfache Mahlzeit für Jedermann: Das Chartier ist als Monument historique eingestuft.

Eine Pariser Institution, eine frühere Suppenküche in einem Hinterhof der Rue de Faubourg-Montmartre. 1896 eröffnet und immer noch so wie einst. Glaskugeln als Leuchten, Ablagen aus Kupfer für die Garderobe zwischen den Tischen. Ein großer Belle-Epoque-Speisesaal für mehr als 300 Gäste. Reservieren kann man hier nicht, oft gibt es endlose Schlangen (gute Chancen oft mittags vor halb eins). Schlichtes, gutes Essen zu vernünftigen Preisen. Das Besondere aber am Chartier ist, dass man hier eigentlich recht leicht mit Menschen ins Gespräch kommen kann – gerade wenn man alleine essen geht.

In französischen Restaurants wählt der Gast nicht selbst den Tisch, sondern er wartet, bis er vom Kellner einen Platz zugewiesen bekommt. Ein noch größerer Fauxpas wäre es, sich einfach zu anderen an den Tisch zu setzen. Anders im Chartier, denn hier werden die Tische voll besetzt. „Hier isst niemand allein“, sagt der Kellner zu mir bei meinem ersten Besuch. Und setzt mich zu einem älteren französischen Paar an einen Vierer-Tisch.

Die Keller tragen weißes Hemd, schwarze Weste, weiße Schürze

Die Kellner tragen weißes Hemd, schwarze Weste, weiße Schürze.

Ich grüße und studiere die Speisekarte. „Wir kommen aus einer Vorstadt von Paris, und wenn wir in Paris sind, essen wir hier öfter“, sagt der Herr. Als er gerade erzählt, dass hier früher die Stammgäste reservierte Schubladen für ihre persönliche Serviette hatten, wird der vierte Platz an unserem Tisch einer jungen Asiatin zugewiesen.

Sie lächelt und wir alle sind erst mal still. Ich entscheide mich für das Faux filet mit Pommes. Das Paar unterhält sich mit sich. „Was machen Sie in Paris?“, frage ich schließlich die junge Frau. Sie kommt aus Südkorea, gönnt sich als Touristin zwei Wochen Paris und bestellt als Vorspeise Schnecken. Mutig, dabei wirkt sie doch so schüchtern. „Das Chartier steht in den asiatischen Reiseführern“, sagt Monsieur neben mir, „und auch, dass die Schnecken hier gut sind – deswegen kommen die gerne hierher.“ Die Koreanerin lächelt und versucht, das Schneckenfleisch mit dem kleinen Gäbelchen herauszuziehen. Es gelingt ihr einfach nicht. Ich muss an die Szene in Pretty Woman denken, wo Julia Roberts genau das gleiche Problem hat und schließlich eine Schnecke durch das Restaurant schießt. Doch der ältere Herr verhindert einen Schneckenflug und zeigt ihr, wie es geht.  „Sehen Sie, ist gar nicht schwer.“

So schnell kann es im Chartier gehen, dass man sich fühlt wie in einer französischen Familie. Einmal diskutierte ich an gleicher Stelle mit einem französischen Lehrer, der auch mal in Mainz unterrichtete, über Frankreichs Schulwesen. So ein Mittagessen kann freilich – je nach Gegenüber – auch sehr anstrengend werden. Neulich bekamen Freunde mit, wie ein Berliner und ein Schweizer Touristenpaar beim Gespräch nicht so recht zueinander finden konnten.

Die Rechnung schreibt der Kellner im Chartier einfach mit dem Kuli auf die weiße Papiertischdecke. Und beim Hinausgehen fragt man sich, welchen Spaß die Tischzuweiser wohl haben, wenn sie die Tische mischen. Und welche Menschen sich hier wohl schon kennengelernt haben – vielleicht auch für länger als nur für ein Menü.

http://www.bouillon-chartier.com

Erinnerungsfoto vor der Ex-Suppenküche: Unscheinbarliegt der Eingang in einem Hinterhof.

Erinnerungsfoto vor der Ex-Suppenküche: Unscheinbar liegt der Eingang in einem Hinterhof.

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