Von Stiften, Mayo und Stolz

Von wegen Trauermarsch. Humor und Freundlichkeiten überall. Viele Franzosen haben auf die Place de la République Karikaturen von den getöteten Charlie-Hebdo-Zeichnern Cabu, Tignous und Wolinski mitgebracht und sich auf die Jacke gesteckt.

Ein Mann geht auf einen Polizisten in Uniform zu und sagt: „Danke für Ihre Arbeit, danke dass Sie uns beschützen.“ Ein anderer gibt einem Polizisten sogar eine Bise, die französischen Wangenküsschen. Die Umherstehenden lachen und spenden Applaus.

Dann diese Stift-Vielfalt. Ein Zeichen der Solidarität mit den Karikaturisten. Stifte werden zu Haarnadeln, stecken senkrecht auf Mützen. Da hieven Demonstranten einen fast zwei Meter hohen Karton-Stift auf das Republik-Denkmal mitten auf dem Platz. Oben steht ein junger Mann, der den Leuten „Charlie“ zuruft. Dann klatscht. Dann die Marseillaise anstimmt. Die Massen antworten ihm mit Charlie, mit Geklatsche, mit der Marseillaise.

Ich bin Charlie, ich bin frei

Ich bin Charlie, ich bin frei

Einigkeit, Respekt, Solidarität. Frankreich schafft sich an diesem Tag eine Wir-sind-ein-Volk-Stimmung. „Das hier ist für mich heute der einzige Ort, wo man sein kann“, sagt Widmaer Blezin. Er steht auf der Place de la République mit seiner Frau und seinen beiden Kindern. Sie hatten keine Angst, heute hierher zu kommen. „Hier ist es nicht gefährlicher als irgendwo anders in Europa.“ Seine dreijährige Tochter sitzt auf seinen Schultern und isst Chips, die Krümel fallen in sein Haar. Blezin trägt eine weiße Armbinde mit der Aufschrift: „Ich bin unschuldig.“ „Weil ich Schwarzer bin, und weil ich seit vergangener Woche auf der Straße oft anders angeschaut werde“, sagt er. Denn der Attentäter, der den jüdischen Supermarkt überfallen hatte, war Schwarzer. Diese Terrortage dürften nicht dazu führen, dass hier wieder Minderheiten und Schwarze stigmatisiert würden. „Frankreich ist doch ein schöner großer Melting-Pot“, sagt er und grinst. „Nur die Mayonnaise stimmt noch nicht so richtig.“

Jugendliche sitzen auf einem Kiosk. Einer trägt eine Clown-Nase. Andere sitzen auf Ampeln. „Jetzt marschiert doch endlich“, brüllt ein junger Mann. Er steht weit oben an einem offenen Fenster der Häuser, die noch aus der Haussmann-Zeit stammen. „Da lang“, sagt er und zeigt in Richtung Place de la Nation. Die Leute lachen und rufen nach oben: „Kommt runter, kommt runter, kommt runter.“

Der 17-jährige Clément Bonnet ist das erste Mal auf einer Demo: „Ich bin stolz, das sind so viele Menschen“, sagt er. Er lese seit vier Jahren Charlie Hebdo. Nicht immer würden ihm die Zeichnungen gefallen. „Aber die Zeichner sind einfach mutig, sich wirklich über alles lustig zu machen.“ Er sei hier, um die Pressefreiheit zu verteidigen.

Charlie ist groß am Bleistift

Charlie ist groß am Bleistift

Um ihn herum halten viele Leute Schilder hoch. „Charlie Akbar“, „Charlie – Juif (Jude) – Flic (Polizist)“, „Freiheit ist die DNA von Humor“, „Vergießt Tinte, nicht Blut“, „Love ist the answer“. Ein Franzose sagt: „Wir Franzosen brauchten diesen Marsch, denn solche Bilder der Einheit und der Solidarität müssen die schrecklichen Bilder der vergangenen Terrortage überlagern.“ Er sei stolz, wie sein Land auf den Terror reagiere. Ja, viele Franzosen sind stolz auf die Rückkehr eines republikanischen Geistes. Sie merken wieder ihre Stärken. Dominierten doch in letzter Zeit vor allem nur noch politischer Streit, Depression, Zukunftsängste, Wirtschaftskrise und Präsidenten-Bashing.

Auch viele Deutsche sind hier. Eine Frau, die in der deutschen Botschaft in Paris arbeitet, hält ein Schild mit der Aufschrift: „Je suis française Ich bin Französin“. Sie lebt seit zweieinhalb Jahren in Paris. Als die Anschläge sich ereignet hatten, hätten sich die Pariser in der Metro plötzlich in die Augen geschaut, sagt sie. Normalerweise tun sie das nicht, jeder ist für sich. „Ich hoffe nur, dass das Land nicht zerfällt.“ Sie spricht das aus, was viele Franzosen hoffen. Dass diese Einheit nicht nur ein warmes Gefühl dieses Sonntags ist. Sondern dass sie lange anhält.

„Wir testen Grenzen“

Frankreich trauert. Unter den zwölf Toten nach dem Attentat von gestern ist auch der Chefredakteur des Satirezeitung Charlie Hebdo, Stéphane Charbonnier alias Charb. Im Herbst 2012 ermöglichte er mir ein Interview. Damals hatte gerade ein islamfeindlicher Film für Aufsehen gesorgt. Als kurz darauf Charlie Hebdo Mohammed-Karikaturen veröffentlichte, gab es viel Kritik.

Seine Antworten von damals wirken aktueller denn je.

Hier noch einmal das Interview von 2012:

„Wir testen Grenzen“

Wie haben Sie in den vergangenen Wochen geschlafen?

Charb: Naja, geht so. Es gab gegen uns einen Mordaufruf im Internet. Und eine Drohung, uns umzubringen, kam offensichtlich von jemandem, der mit einer kürzlich in Frankreich ausgehobenen islamistischen Terrorzelle in Verbindung stand. Aber alles in allem sind wir weniger belästigt und belagert worden von gefährlichen bärtigen Islamisten als von den Medien. Die Medien taten so, als hätten wir einen Skandal ausgelöst wie einst die dänischen Karikaturen. Das war aber nicht so.

Aber einige Minister warfen Ihnen vor, nach dem Aufruhr wegen eines islamfeindlichen Films weiter Öl ins Feuer zu gießen.

Charb: Alle Zeitungen machten doch Titelgeschichten über diesen in den USA gemachten idiotischen Film. Und wir, als wöchentlich erscheinendes Satireblatt, sollen nicht aktuell arbeiten? Das wäre doch grotesk. Wir würden das genauso wieder machen. Die Reaktion der Politik hat uns am meisten überrascht. Die hatten Panik vor Reaktionen – und provozierten damit genau diese.

Manche sagten, Sie zielten mit Ihren Karikaturen vor allem auf den Islam.

Charb: Wer das sagt, der liest uns nicht. Wir machen uns lustig über alle Religionen. Wir haben in 20 Jahren 1060 Ausgaben veröffentlicht, darunter waren nur drei Titelseiten über den Islam, die für Probleme sorgten. In derselben Zeit hatten wir 14 Prozesse mit extrem rechten Katholiken, weil wir uns lustig gemacht haben über ihre Religion. Es gab nur einen Prozess mit muslimischen Verbänden. Wir haben mal den Papst auf der Titelseite gezeigt, wie er einen Maulwurf penetriert und sagt, das sei mal was anderes als Chorknaben – das war zum Thema undichte Stelle im Vatikan. Da gab es gerade mal ein paar Protestmails.

Was ist für Sie der Reiz daran, Religionen aufs Korn zu nehmen?

Charb: Unser Magazin ist der Laizität verschrieben, also der Trennung von Staat und Kirche. Die ermöglicht allen sich frei zu äußern – ob sie glauben oder nicht. Wenn Vertreter von Religionen versuchen, Einfluss auf die Politik zu nehmen, halten wir dagegen. Etwa wenn jetzt Katholiken mit einem extremistischen Vokabular Druck auf unsere Regierung ausüben, weil diese den Weg für die Homoehe frei machen will.

Wo sehen Sie die Grenzen der Satire?

Charb: Nur in den Gesetzen meines Staates. Die Leute sagen, wir müssten auch an die Muslime in Afghanistan oder sonst wo denken. Ich sage Nein, denn ich zeichne für meine 75000 Leser in Frankreich. Ob sich am Ende der Welt ein paar Extremisten über meine Zeichnungen aufregen, ist mir völlig egal.

Was sagen Sie Leuten, die fragen, warum Sie Mohammed mit nacktem Hintern zeichnen müssen?

Charb: Wir wollen Leute zum Lachen und zum Nachdenken bringen. Wir machen, was wir Satiriker nun mal gerne machen: Grenzen testen und auch überschreiten. Wenn die Zeichnung intelligent ist, umso besser, wenn nicht, auch nicht schlimm.

Ist Satire in diesen Zeiten wichtiger denn je?

Charb: Die Furcht vor Fundamentalisten darf nicht dazu führen, dass Satire unterdrückt wird. Wir müssen aufpassen: Machen wir den Zensoren kleine Zugeständnisse, wollen sie beim nächsten Mal noch harmlosere Zeichnungen. Satiriker müssen über den Muslime so zeichnen können wie über Juden und Christen. Was mich beunruhigt, ist die Selbstzensur der Journalisten in Frankreich. Viele bestätigen uns in dem, was wir tun und sagen uns, wie mutig wir doch sind. Aber sie selbst fürchten Reaktionen von Islamisten und schreiben nicht mehr alles, was vielleicht nötig wäre. Wenn ich entscheiden muss: Arbeite ich unter Polizeischutz oder gar nicht, ist für mich klar, dass ich unter Polizeischutz arbeite. Wenngleich das recht paradox ist.

Was meinen Sie damit?

Charb: Weil wir uns über die Polizei natürlich oft lustig machen. Wir befinden uns in der Situation, unseren Innenminister für seinen Umgang mit den Roma heftig zu kritisieren, den Mann, der uns jetzt seine Polizisten zur Verfügung stellt, damit wir weiter unsere Arbeit machen und ihn kritisieren können. Aber das ist doch genau die Vorstellung von Demokratie und Republik, die man hat, oder?

Der Karikaturist Charb, geboren 1967, war seit 2009 Chefredakteur des wöchentlich erscheinenden französischen Satireblatts Charlie Hebdo.

Französische Zeitungen heute mit schwarz-grauen Titelseiten

Französische Zeitungen heute mit viel Schwarz auf den Titelseiten