Paris-Tipp: Das 1×1 des Metrofahrens

Wer jeden Tag in Paris mit der Métro zur Arbeit pendeln muss, der hat es nicht leicht. Fünf Millionen U-Bahn-Nutzer pro Tag, die Enge, das Gedränge in den 16 Linien, im Sommer die Hitze, oft stinkt es nach Kloake. Und als ob das nicht schon genug wäre, drängeln sich auch noch Massen von Touristen durch das viertälteste U-Bahn-Netz der Welt.

Da wo Métro draufsteht, ist auch ne Metro drin.

Da wo Métro draufsteht, ist auch ne Métro drin.

Die Pariser halten sich recht diszipliniert an Métro-Regeln, auch wenn sie nirgendwo in der Métro explizit angeschrieben sind. Den Strom der Massen möglichst wenig behindern, darum geht es. Das geht schon bei den Rolltreppen und Laufbändern los: links gehen, rechts stehen. Man kann ja mal ausprobieren, zu zweit nebeneinander auf einer Rolltreppe stehen zu bleiben. Dann erlebt man, wie verärgert le Nachbar gucken kann oder wie er einem ungeduldig mit strengen Ton „Pardon!“ oder „S´il vous plaît!“ in den Rücken raunt.

Am Eingang der Métro erwarten einen die Drehkreuze (tourniquets): Man steckt vorne sein Métroticket hinein und nimmt es oben wieder heraus, dann kann man durchgehen. Obacht: Einige der Schleusen sind nur für Dauerkarteninhaber – da kann man kein Ticket einstecken. Da nervt man die Pariser, wenn man den Schlitz sucht und einen Stau produziert.

Bei den Drehkreuzen wissen Reisende mit großen Koffern oft nicht, wie sie da durchkommen sollen. Da hilft es, mal an die Seite zu schauen: Oft gibt es dort eine breite transparente Tür. Steckt man daneben sein Ticket ein, öffnet sie sich nach ein paar Sekunden und man kann ganz leicht mit Koffer oder Kinderwagen durchfahren. Gibt es die Tür nicht, dann viel Glück. Wenn man mit großen Koffern im Drehkreuz stecken bleibt, hilft nur eins: Warten, bis James Bond mit seinem Hubschrauber kommt und einen befreit.

Im Untergrund rechts gehen, links stehen.

Im Untergrund rechts stehen, links gehen.

Vorsicht übrigens mit den Métrotickets (tickets de métro): Sie funktionieren manchmal nicht mehr, wenn sie in Berührung mit Metall kommen – etwa mit dem Schlüssel. Dann kann man am Schalter um ein neues Ticket bitten. Auch sollte man das Métro- oder RER-Ticket bis zum Ende der Fahrt aufbewahren. Manchmal muss man es beim Ausgang nämlich noch mal einstecken. Und dann gibt es natürlich ab und zu freundliche Kontrolleure, die in den Gängen auftauchen… Ach ja: Die Tickets gibt es im Zehnerpack (un carnet) übrigens billiger!

Dann wären da noch die strapontins. So heißen die Klappsitze im Eingangsbereich der Waggons. Hier gibt es eine wichtige Regel: Man setzt sich nicht auf die strapontins, wenn die Bahn zu voll ist, denn dann nehmen die ausgeklappten Sitze noch mehr Platz weg. Bei der Rushhour sind die Dinger also tabu – selbst wenn man noch so touristenfutschikago ist.

Wenn die Métro richtig voll ist und man ist direkt an der Tür, dann sollte man auf den Bahnsteig treten, um die Leute rauszulassen. Wenn man jemanden zu nahe kommt oder gar anrempelt: „Pardon“ sagen. Die Franzosen sind wahre Höflichkeitsmeister.

In der Métro sind oft kleine Aufkleber mit einem Hasen drauf, der sich die Pfote einklemmt. Armer Hase, nicht lustig. Wenn das Signal ertönt, dass die Türen schließen, sollte man vor allem bei den Métrolinien mit den Doppeltüren (Tür der Métro + Tür am Bahnsteig) aufpassen: Die Türen schließen schnell und gnadenlos. Immer wieder verletzen sich Fahrgäste, weil sie schnell noch einsteigen wollen und dann eingeklemmt werden. So wie der Hase.

Métrostation Bastille: die Linie 1 hat am Bahnsteig eine Wand mit einer zweiten Tür.

Métrostation Bastille: die Linie 1 hat am Bahnsteig eine Wand mit Türen, die sich bei der Einfahrt der Métro öffnen.

Einmal kam ich mit meinem Métroticket einfach nicht mehr raus, das Drehkreuz wies mich ab. Auf der anderen Seite stand ein Mann, der mir ein Ticket entgegenstreckte – ich solle das nehmen, das würde funktionieren. In meiner Ratlosigkeit nahm ich die Hilfe an. Kaum war ich auf der anderen Seite, verlangte er recht aufdringlich Geld von mir. Die Lösung war: Ich hatte einen Übergang zur teureren S-Bahn RER  als Ausgang nehmen wollen, der Métro-Ausgang war hinter mir die Rolltreppe hoch. Die Typen kennen diese Stellen, wo Touristen plötzlich nicht mehr weiterkommen und versuchen, mit der Hilflosigkeit der Leute Geld zu verdienen.

Weil viele nicht mehr wissen, dass es eine Métro-Etikette gibt, hat der Pariser Métrobetreiber RATP eine kleine Höflichkeitsfibel erstellt. Der „moderne Reisende“ in der Métro macht sein Handy (portable) nicht unerträglich (insupportable) für die anderen, heißt es dort. Also: Lautes Telefonieren nicht erwünscht. Rucksäcke soll man abnehmen, um sie nicht aus Versehen dem Nachbarn ins Gesicht zu drücken. Und was das Flirten angeht: Vorsicht. Den Nachbarn anglotzen und anstarren? Non. Vor allem eine hübsche Frau nicht, selbst „wenn sie den Revolverblick hat“, heißt es in der Fibel. Man lässt sich in Ruhe – bis zur Rückkehr ans Tageslicht.

www.ratp.fr

Leben mit Vigipirate

Die Lehrerin an einem Collège im Westen von Paris sagt: „Wir sind ein Land, das gerade Krieg führt – heute habe ich das mal wieder gemerkt.“ Sie wollte mit ihrer Schulklasse eine Fahrt in den Louvre machen – mit der Schnellbahn RER und der Métro. Doch ihre Schulleitung hat es verboten: Klassenausflüge mit diesen Verkehrsmitteln sollen derzeit vermieden werden, man solle lieber einen Bus bestellen. Eine Anweisung der Präfektur.

Das zeitweise RER-Verbot hängt mit dem „Plan Vigipirate“ zusammen. Der Name klingt ein wenig nach einem Computerspiel, bei dem man Piraten jagen muss. Es ist ein Kunstwort, zusammengesetzt aus „vigilance“ (Wachsamkeit) und „pirate“.

Der Begriff steht für einen Sicherheitsplan zum Schutz vor Terrorismus. Ausgearbeitet wurde er schon im Jahr 1978 unter Präsident Valéry Giscard d’Estaing. Der Plan wurde immer wieder verschärft – vor allem nach den Anschlägen vom 11. September 2001. Heute sieht er verschiedene Stufen vor, die mit Farben gekennzeichnet sind: Sie reichen von gelb, orange, rot bis scharlachrot („écarlate“). Er sieht über 400 verschiedene mögliche Sicherheitsmaßnahmen vor, die in das Leben der Franzosen eingreifen können.

Le Nachbar kennt diese Farben und hat sich längst an Vigipirate gewöhnt. Derzeit gilt zwar die Stufe rot. Aber sie gilt bereits durchgehend seit den Anschlägen in London im Juli 2005: Damals ereigneten sich während des Berufsverkehrs vier Explosionen. Die Attentäter zündeten ihre Bomben in drei U-Bahnen und in einem Doppeldeckerbus. Viele Menschen starben. Im Laufe der Jahre drohte die islamistische Terrororganisation al-Qaida im islamischen Maghreb immer wieder mit Anschlägen gegen französische Einrichtungen und bekannte sich auch zur Entführung von Franzosen. Es blieb also über die Jahre bei dieser Wachsamkeits-Farbe. Die Stufe rot wird in der offiziellen Erklärung  erklärt mit Sätzen wie „die notwendigen Maßnahmen ergreifen, um dem konkreten Risiko eines oder mehrerer schwerer Anschläge vorzubeugen“. Man bleibt vage.

Seitdem die französischen Truppen in Mali in Afrika gegen die Islamisten kämpfen, herrscht zwar weiterhin in Frankreich Stufe rot – aber man hat die Stufe im Januar 2013 von „rot aktiv“ auf „rot verstärkt“ erhöht. (Das machen die Behörden auch an Festtagen wie Weihnachten oder zum Jahreswechsel, wenn viele Menschen unterwegs sind.) In Paris sieht man in diesen Tagen vor allem auf Bahnhöfen und Flughäfen wie auch am Eiffelturm und beim Louvre schwer bewaffnete Soldaten – es sollen 700 zusätzlich unterwegs sein. Hin und wieder werden Personen oder Gepäckstücke kontrolliert (von Zugreisenden wird schon lange verlangt, dass sie ihr Gepäck mit einem Adressschild versehen). An vielen Eingängen gibt es Handtaschenkontrollen. Man lässt es über sich ergehen. Wegen der vielen roten Jahre tritt ein wenig ein Vigipirate-Gewöhnungseffekt ein.

Sollte der „Plan Vigipirate écarlate“, also dunkelrot ausgerufen werden, erwartet die Regierung unmittelbar bevorstehende größere Anschläge. Seit es den Plan gibt, wurde diese höchste Alarmstufe aber nie landesweit ausgerufen, sondern nur regional: Und zwar im März 2012 von Präsident Nicolas Sarkozy für den Großraum Toulouse. Damals hatte ein Attentäter einen Anschlag auf eine jüdische Schule verübt.

Dass jüngere Schulklassen die RER derzeit meiden sollen, hängt wohl auch mit der Erinnerung an die Anschlagserie im Jahr 1995 auf Züge der RER und der Métro zusammen (unter anderem in den Stationen Saint-Michel und Musée d´Orsay). Acht Menschen starben. Zu den Anschlägen bekannten sich damals algerische Fundamentalisten der „Bewaffneten islamischen Gruppen“ (GIA). Es war eine Zeit, in der manch einer in der Métro erst nach einer Bombe unter dem Sitz schaute, bevor er sich darauf niederließ. Damals setzte die Regierung landesweit 20 000 Polizisten, 2500 Soldaten und 9000 Zöllner an Flughäfen, Bahnhöfen, Grenzen und Museen zusätzlich zur Überwachung ein. Und in Paris begann man, 7000 Abfalleimer zuzuschrauben oder abzubauen, damit sie nicht als Sprengstoffversteck dienen konnten. Auch heute werden in französischen Städten oft durchsichtige Abfallsäcke verwendet.

Die S-Bahn RER fährt tief in der Erde, noch unterhalb der Métro. Sie bringt sehr viele Menschen aus den Vorstädten ins Zentrum nach Paris. Die RER A zum Beispiel gilt mit einer Million Fahrgäste pro Tag als die am meisten befahrene S-Bahn-Linie in Europa.