Paris-Tipp: Kuchen bei La Bossue

Das Leben ist zu kurz, um keinen Kuchen zu essen. Nur essen die Franzosen ihn oft als Nachtisch zum Mittag- oder Abendessen und nicht wie wir Deutschen gerne gegen drei oder vier Uhr am hellerlichten Nachmittag. Kaffeekränzchen in Paris, das geht zwar, man muss nur wissen, wo.

Neulich sah ich in der blauen Stunde auf dem Montmartre durch ein Schaufenster in ein angenehm erleuchtetes Café. Ich ging näher ran, und entdeckte im Innern einen Tresen voller Rührkuchen, Madeleines, Financiers, Scones, und eine Art doppelte Ischler Törtchen mit zwei Löchern, „lunettes“ genannt.

Am Ende eines langen Nachmittags sind die Kuchen kürzer geworden (ich bekenne mich mitschuldig).

Am Ende eines langen Nachmittags sind die Kuchen kürzer geworden (ich bekenne mich mitschuldig).

„La Bossue“ heißt diese Pâtisserie, und das warme Licht lockte mich gleich ins Innere. Ein schmaler Vintage-Teesalon, runde Marmortische und ein länglicher Holztisch, alte Holzstühle und mit Fell überzogene kleine Hocker. Spiegel aus dem vergangenen Jahrhundert an den Wänden und Blumenampeln an der Decke, alte Schwarzweiß-Familienfotos, grüne Tapete mit Baummuster. Hier soll es sein wie bei Oma. Diese Retro-Orte lieben die Franzosen ja sehr. Wohl gerade auch in dieser Zeit, in der die Globalisierung – die le Nachbar „mondialisation“ nennt – es ihrer Wirtschaft schwer zu schaffen macht. Freundinnen führen hier Mädchengespräche, Väter spendieren am späten Nachmittag ihren Kindern das berühmte französische „goûter“, eben einen kleinen Kuchen, damit die Kleinen durchhalten bis zum Abendessen.

Viele Plätze gibt es hier nicht. Vorne am Tresen wird nach dem Eintreten erst mal Halt gemacht, gesichtet, was heute vernaschbar ist, und man wartet, dass man gesetzt wird. (Manche Besucher lassen sich Kuchen auch zum Mitnehmen einpacken.) Im hinteren Teil ist seitlich die Backstube, in der die junge Besitzerin Caroline gerade den Rührteig für einen Schokokuchen in eine Form streicht. „La bossue“ bedeutet die Bucklige. Dieses Oma-Kaffee mit großer Teeauswahl führt aber keine Oma, sondern eben zwei junge Franzosen, die auf saisonale und lokale Zutaten Wert legen.

Welcher Kuchen heute verdrückt werden kann, hänge von der Jahreszeit, vom Wetter und davon ab, wie die Sterne stünden, steht in der Karte. Das zeigt: Wer Kuchen liebt, hat auch Humor. Und wer Humor hat, der schneidet einem auch ein ordentliches Stück ab. Mein saftiges Pamplemousse-Kuchenstück ist fast fünf Zentimeter breit. 3 Euro dafür und für den Darjeeling 4,50 Euro, heissa, für den Montmarte sind das Preise, wo man sich doch gleich noch ein Stück am Tresen zu erbitten traut.

Am Ende der Rue des Abesses auf dem Montmartre: La Bossue

Am Ende der Rue des Abesses auf dem Montmartre: La Bossue

Hier verkehren Pariser. Denn die Touristen, die das Viertel ja gerne überrennen, biegen schon an der Kreuzung vorher ab, um in der Rue Lepic ins „Café des Deux Moulins“ zu stürmen, das durch den Amélie-Poulain-Film große Berühmtheit erlangte. Im Bossue dagegen wollen die Einheimischen Oma-Wärme tanken. Schon zum Frühstück, oder mittags bei Salaten, Quiches, Croque-Monsieurs oder Suppen. Am Wochenende drängt man sich hier zum Brunch, vor 15 Uhr kriegt man deswegen keinen Platz.

La Bossue, pâtisserie-comptoir

Mittwoch bis Freitag 8.30-19 Uhr, Samstag und Sonntag 10.30-19 Uhr

9, rue Joseph de Maistre, 75018 Paris, Metro: Blanche, Abesses

www.labossue.com, https://www.facebook.com/labossue/

Paris-Tipp: Hier isst niemand allein

Paris-Tipps, die in fast jedem Reiseführer stehen, sollen hier eigentlich nicht noch mal auftauchen. Weil heute Donnerstag ist, gibt es eine kleine Ausnahme. Und ein paar Worte zum Restaurant Bouillon Chartier.

Eine einfache Mahlzeit für Jedermann: Das Chartier ist  als Monument historique eingestuft.

Eine einfache Mahlzeit für Jedermann: Das Chartier ist als Monument historique eingestuft.

Eine Pariser Institution, eine frühere Suppenküche in einem Hinterhof der Rue de Faubourg-Montmartre. 1896 eröffnet und immer noch so wie einst. Glaskugeln als Leuchten, Ablagen aus Kupfer für die Garderobe zwischen den Tischen. Ein großer Belle-Epoque-Speisesaal für mehr als 300 Gäste. Reservieren kann man hier nicht, oft gibt es endlose Schlangen (gute Chancen oft mittags vor halb eins). Schlichtes, gutes Essen zu vernünftigen Preisen. Das Besondere aber am Chartier ist, dass man hier eigentlich recht leicht mit Menschen ins Gespräch kommen kann – gerade wenn man alleine essen geht.

In französischen Restaurants wählt der Gast nicht selbst den Tisch, sondern er wartet, bis er vom Kellner einen Platz zugewiesen bekommt. Ein noch größerer Fauxpas wäre es, sich einfach zu anderen an den Tisch zu setzen. Anders im Chartier, denn hier werden die Tische voll besetzt. „Hier isst niemand allein“, sagt der Kellner zu mir bei meinem ersten Besuch. Und setzt mich zu einem älteren französischen Paar an einen Vierer-Tisch.

Die Keller tragen weißes Hemd, schwarze Weste, weiße Schürze

Die Kellner tragen weißes Hemd, schwarze Weste, weiße Schürze.

Ich grüße und studiere die Speisekarte. „Wir kommen aus einer Vorstadt von Paris, und wenn wir in Paris sind, essen wir hier öfter“, sagt der Herr. Als er gerade erzählt, dass hier früher die Stammgäste reservierte Schubladen für ihre persönliche Serviette hatten, wird der vierte Platz an unserem Tisch einer jungen Asiatin zugewiesen.

Sie lächelt und wir alle sind erst mal still. Ich entscheide mich für das Faux filet mit Pommes. Das Paar unterhält sich mit sich. „Was machen Sie in Paris?“, frage ich schließlich die junge Frau. Sie kommt aus Südkorea, gönnt sich als Touristin zwei Wochen Paris und bestellt als Vorspeise Schnecken. Mutig, dabei wirkt sie doch so schüchtern. „Das Chartier steht in den asiatischen Reiseführern“, sagt Monsieur neben mir, „und auch, dass die Schnecken hier gut sind – deswegen kommen die gerne hierher.“ Die Koreanerin lächelt und versucht, das Schneckenfleisch mit dem kleinen Gäbelchen herauszuziehen. Es gelingt ihr einfach nicht. Ich muss an die Szene in Pretty Woman denken, wo Julia Roberts genau das gleiche Problem hat und schließlich eine Schnecke durch das Restaurant schießt. Doch der ältere Herr verhindert einen Schneckenflug und zeigt ihr, wie es geht.  „Sehen Sie, ist gar nicht schwer.“

So schnell kann es im Chartier gehen, dass man sich fühlt wie in einer französischen Familie. Einmal diskutierte ich an gleicher Stelle mit einem französischen Lehrer, der auch mal in Mainz unterrichtete, über Frankreichs Schulwesen. So ein Mittagessen kann freilich – je nach Gegenüber – auch sehr anstrengend werden. Neulich bekamen Freunde mit, wie ein Berliner und ein Schweizer Touristenpaar beim Gespräch nicht so recht zueinander finden konnten.

Die Rechnung schreibt der Kellner im Chartier einfach mit dem Kuli auf die weiße Papiertischdecke. Und beim Hinausgehen fragt man sich, welchen Spaß die Tischzuweiser wohl haben, wenn sie die Tische mischen. Und welche Menschen sich hier wohl schon kennengelernt haben – vielleicht auch für länger als nur für ein Menü.

http://www.bouillon-chartier.com

Erinnerungsfoto vor der Ex-Suppenküche: Unscheinbarliegt der Eingang in einem Hinterhof.

Erinnerungsfoto vor der Ex-Suppenküche: Unscheinbar liegt der Eingang in einem Hinterhof.

Paris-Tipp: Montmartre ersteigen

Wer Tourist ist, hat meistens ein Pflichtprogramm. In Paris gehören da wohl auch Montmartre und die Basilika Sacré-Cœur dazu. Schöner Blick auf die Stadt. Und auf viele viele Touristen, deren Pflichtprogramm nun mal dem eigenen ähnelt.

Man kann ihnen am Anfang ein wenig aus dem Weg gehen, indem man Montmartre von Norden aus ersteigt. Also nicht die Métro-Stationen Anvers oder Pigalle nehmen, von wo aus die Massen gerne hochpilgern. Auch nicht Abesses (wenngleich diese Métro-Station für den Start einer Montmartre-Tour auch toll ist, weil man an einem hübschen Platz herauskommt). Sondern die 12 weiterfahren bis Lamarck Caulaincourt. Man schleicht sich also an den Rummel von hinten ran.

Wenn man rauskommt aus der Métro eine 180-Grad-Wendung machen und die Treppe hochsteigen. Am Vormittag könnte man jetzt auf die Idee kommen, erst mal einen zweiten Kaffee zu trinken, bevor man die bevorstehenden weiteren Treppen erklimmt. Wenn schon Pflichtprogramm, dann doch keine Eile. Also Blick nach rechts, 50 Meter gehen, auf der rechten Seite kommt Au Rêve (Zum Traum), eine kleine, enge Café-Bar mit roter Lederbank, kurzem Holztresen und auffallenden Glaslampen (89, rue Caulaincourt). Hier kommt morgens schon mal die Nachbar-Omi rein und plauscht mit der Chefin übers Wetter. Im Eck sitzt die skandinavische Studentin und fährt ihren Laptop hoch.

Am Tresen vom Au Rêve

Am Tresen vom Au Rêve

(Übrigens: Wer die Rue Caulaincourt runtergeht und dann noch in die anschließende Rue Custine, entdeckt alles, was ein Tourist ab und zu braucht: mehrere Bäckereien, Brasserien, einen kleinen Supermarkt, einen Laden mit Obst, das Plätzchen Jean Gabin, wo in der Brasserie Le Gabin im Sommer die Leute mittags draußen unter Bäumen essen. Nicht weit entfernt eine andere Brasserie mit dem namen Hope Café, wo im Sommer Bierbänke und -tische vor der Tür stehen. Eine Straße also, in der man in der Mittagszeit sich besser verpflegen kann als in manch teuren, schlechten Restaurants direkt auf dem Montmartre. Sicher, der Straßenverkehr ist hier etwas lauter als in den kleinen, engen Montmartre-Gassen. Aber hier kann man vom Montmartre-Getümmel gut pausieren.)

Wer die Rue Caulaincourt entlang spaziert, sieht immer wieder Treppen hinaufführen auf die Butte, den etwa 100 Meter hohen Hügel, zu Sacré-Coeur. Und man kann sich überlegen: Welche soll die meine sein? Zum Beispiel die direkt gegenüber vom Rêve. Am Ende der Treppe ist die Place Dalida mit einer Büste der Sängerin. Wer nun durch die Gassen spaziert, wird einen sehr alten Weinberg, eine Windmühle, die Mauer der Ich-liebe-Dichs, die Place du Tertre, Sacré-Cœur und alles finden, was im Reiseführer steht. Die Rue des Abesses lädt ein, in die Schaufenster zu schauen oder einen Apéro zu trinken. Von der dortigen Bäckerei samt Café Coquelicot (Hausnummer 24) schwärmen gern die Deutschen, weil man allerlei Kuchen (und auch salzige Snacks) bekommt. In Frankreich, wo das Kaffeekränzchen am Nachmittag nicht gepflegt wird, ist manch einer froh, hier eine schöne Aprikosentarte oder einen Marmorkuchen zu erstehen und diesen dann im ersten Stock oder an den Tischen auf dem Gehsteig genießen zu können.

Bäckerei und Café: das Coquelicot

Bäckerei und Café: das Coquelicot

Ach ja, Vorsicht, in der Basilika Sacré-Coeur wird man von einem überstrengen Aufseher gleich streng ermahnt, wenn man seinen Arm um Frau oder Freundin (Mann oder Freund) legt. Man solle gefälligst die Würde dieses Ortes achten, tadelt er. Ganz bestimmt hat kein Gott etwas dagegen, wenn zwei Menschen in einer Kirche sich mal halten und herzen. Aber so eine Diskussion fängt man natürlich am besten nicht an, sonst bringt einen so ein strenger Kirchenwächter sicher gleich in die Hölle.

Direkt östlich von dem Park mit den Treppen unterhalb von Sacré-Cœur ist übrigens eine frühere Markthalle zu einem Museum (unter anderem für naive Malerei) umfunktioniert worden (Halle Saint Pierre in der Rue Ronsard). Auch dort ein Café, wo es oft ruhiger zugeht. Und eine spezialisierte  Buchhandlung. Gleich nebenan, an der Place St. Pierre, lohnt es sich, mal durch eines der Textilkaufhäuser zu streifen. Von Baumwolle über Seide, Knöpfe, Strass, Pailletten – Stoffe in Massen zu günstigen Preisen. Man fühlt sich wie in ein einer völlig anderen Kaufhauszeit.

In der Welt der 1000 Stoffe

In der Welt der 1000 Stoffe

Nicht weit entfernt das Café de la Commerce (13, rue de Clignancourt Ecke Rue Pierre Picard) – auch in diese Brasserie verirren sich nicht so viele Montmartre-Touristen. Neon-Lampen, großer Spiegel, rote Decke, Mobiliarsmischmasch mit Patina. Eher normales Pariser Leben. Mittagstisch, der keine drei Sterne bekommt, aber ehrlich ist. Und wer hier weiterschlendert Richtung Métrostation Barbès Rochechouart, der taucht ein in ein Viertel, in dem viele Immigranten wohnen und wo die Welt plötzlich wieder eine ganz andere ist.