Eigentlich ist er eine der größeren Touristenattraktionen in Paris. Aber seit Anfang Januar kann jeder deutlich sehen, dass er auch eine große Mülltonne ist: der Canal Saint-Martin. Er verbindet im Osten von Paris auf einer Länge von viereinhalb Kilometern das Bassin de la Villette mit der Seine. Momentan fehlt ihm sein Wasser. Der Grund: großes Reinemachen. Wer also in diesen Wochen nach Paris reist: Mit üblicher Canal-Romantik ist es gerade ein bisschen schwierig.
Trotzdem kommen viele Schaulustige her, stehen auf den Brücken und staunen. Es riecht wie im Watt, Möwen suchen im Schlamm nach Leckerlis. Derart wasserlos ist dieser beliebte Pariser Kanal ein wahrer Kuriositätenkanal. Was da alles zum Vorschein kommt! Regenschirme, teils noch aufgespannt. Viele Motorroller. (Jeder Pariser Rollerbesitzer wird bei deren Anblick sich gut überlegen, ob er sein Gefährt noch einmal am Kanal abstellt.) Im Schlamm des Kanalbetts liegen zudem Stühle, Kinderwagen, Einkaufswagen, Koffer, Toiletten, Straßenschilder, Spritzen, Matrazen. Und Räder, Räder, Räder, vor allem viele Pariser Mietfahrräder, die beliebten Vélibs: Schon 100 Stück wurden aus dem Kanalschlick gezogen. Bergeweise Altglas sammeln sich im Kanalbett – vor allem Bierflaschen. Und Dosen, Dosen, Dosen. Schon lange wird kritisiert, dass die betrunkenen Partypeople im Sommer am Rande des Kanals ihrem Müll einfach ins Wasser kicken.
Dass derzeit Tag für Tag viele Pariser zum Fotografieren herkommen, ist verständlich. So oft sieht man den Kanal nicht in diesem Zustand – und diese normalerweise verborgene Unterwasserwelt auch nicht. Das letzte Mal gab es die Säuberungsaktion im Jahr 2001. Damals wurden sogar zwei Granaten aus dem Ersten Weltkrieg, Goldstücke, leere Tresore und eine Parkuhr gefunden. Die Polizei wird bei den Arbeiten wegen der dubiosen Funde mit einbezogen – angeblich wurde bereits eine Waffe gefunden.
Zu Beginn der Aktion fischten Fischer mit Netzen aus dem Niedrigwasser noch Forellen und bis zu 20 Kilo schwere Karpfen heraus. Mehr als vier Tonnen Fische retteten sie insgesamt, die jetzt eine kurze Kanal-Pause einlegen müssen. Sie werden gezählt und vom Fischdoktor inspiziert. Dann werden sie wieder frei gelassen – am Anfang oder am Ende des Kanals, wo jedenfalls wieder normaler Wasserstand ist.
Fast zehn Millionen Euro kostet der Frühjahrsputz. Auch acht der neun Schleusen werden restauriert und die Brücken überprüft. Die Pariser Wasserwege sind wichtig für die Stadt: 90 Prozent der Baumaterialien wie Sand und Kies – aber auch der Schutt nach Abrissarbeiten – werden über diese Wasserwege in die Stadt oder hinaus geschafft. Auf dem Canal Saint-Martin tuckern aber normalerweise vor allem Privatboote und Ausflugsschiffe mit Touristen, während am Ufer viele einen Spaziergang unter Platanen oder ein Picknick machen. An den Sommerabenden ist hier oft Party und Apéro angesagt. Auch wegen der vielen Bars und Boutiquen des In-Viertels drumherum.
Fast zehn Millionen Euro kosten die Bauarbeiten und der Abtransport des Schlamms sowie des Mülls. Und Anfang April soll das Wasser dann wieder hineinfließen dürfen, ganze 90000 Kubikmeter, was 36 Füllungen olympischer Schwimmbäder entspricht.
Es war Napoléon, der den Canal Saint-Martin Anfang des 19. Jahrhunderts bauen ließ. Einerseits für den Warentransport, andererseits um Paris mit Wasser zu versorgen. Die Einweihung fand 1825 statt. Seit Anfang der 1990er Jahre kann sich der Canal sogar Monument historique nennen. Die Hälfte des Kanals verläuft übrigens unterirdisch.