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Frauen für den Tempel der Nation
Ein Krahn dreht sich über dem Panthéon, schwere Stahlkonstruktionen verdecken einen Teil der Fassade. Der Ruhmestempel Frankreichs ganz in der Nähe des Jardin du Luxembourg wird zurzeit für 100 Millionen Euro restauriert. Doch dem Panthéon geht es in diesen Tagen nicht nur an die Bausubstanz. Le Nachbar debattiert darüber, welch berühmter Toter als nächster in die Gedenkstätte einziehen darf. Besser: welche Tote.
Vor kurzem standen rund 100 Frauen vor dem Panthéon, entrollten Plakate mit dem Bild von Simone de Beauvoir und der Aufschrift „Sie ist immer noch nicht im Panthéon“. Vor das Gesicht der Schriftstellerin hielten sie einen Bart und forderten: „François Hollande: Pantheonisieren Sie Frauen!“
Aufgerufen hatten Aktivistinnen von „Osez le féminisme“ (Wagt den Feminismus) oder „La Barbe“ (Der Bart). Ihr Ziel: Frankreichs Staatspräsident Hollande soll während seiner Amtszeit Frauen für das Panthéon vorschlagen. Der Mangel an weiblichen Berühmtheiten in der französischen Walhalla sei ein Zeichen für die fehlende Geschlechtergleichheit in der heutigen Gesellschaft – etwa in der Politik oder in der Wirtschaft. Dabei sei das Panthéon doch ein wichtiges Symbol für die französische Republik und die Demokratie.
Tatsächlich ist das Panthéon bisher ein Männertempel. Schon an seiner Stirnseite steht in großen Lettern die Inschrift: „Den großen Männern, das dankbare Vaterland“. Nur zwei Frauen haben es im Laufe der vergangenen 200 Jahre in den Tempel der Nation geschafft – und nur eine davon wegen ihres Verdienstes: die zweifache Nobelpreisträgerin Marie Curie. Sophie Berthelot dagegen zählt nicht so richtig: Sie war die Frau des Politikers und Chemikers Marcellin Berthelot und wurde auf Wunsch ihres Mannes bei ihm bestattet.
Alle anderen 70 Berühmtheiten, die hier ruhen, sind Männer: Schriftsteller, Philosophen, Politiker, Militärs, Wissenschaftler, die sich um die Republik verdient gemacht haben. Voltaire, Jean-Jacques Rousseau, Victor Hugo, Émile Zola, Jean Monnet und Jean Jaurès etwa. Nur selten wurden die Verstorbenen gleich nach ihrem Tod dort bestattet – das war der Fall beim Schriftsteller Victor Hugo. Meistens geschieht das erst viele Jahre später. Die Gebeine des 1870 verstorbenen Schriftstellers Alexandre Dumas wurden beispielsweise erst 2002 ins Panthéon gebracht – zur zweihundertsten Wiederkehr seines Geburtsjahres. Über die sogenannte „Panthéonisation“, also die Umbettung des Leichnams oder einer Urne, entscheidet allein der Staatspräsident.
Und der hat den Feministinnen Mut gemacht. Bereits im Wahlkampf versprach François Hollande, sich mehr für Frauenförderung und Gleichberechtigung einzusetzen. In einer Rede am Weltfrauentag im März kündigte er dann an, dass es Zeit sei für Frauen im Panthéon. Hollande beauftragte das Zentrum für Nationale Denkmäler nicht nur damit, zu überlegen, wie man das Panthéon generell für die Gesellschaft interessanter machen könne. Er bat zudem um eine Empfehlungsliste, wer als nächster den Club der toten Berühmtheiten erweitern könnte. Erstmals durften nun die Franzosen im Internet Vorschläge machen, wer dieser Grablege würdig ist. Die Liste wird Ende September dem Präsidenten vorgelegt.
Auch die Aktivistinnen von „Osez le féminisme“ reichten eine Petition mit Vorschlägen ein – darunter sind Namen wie die Revolutionärin und Frauenrechtlerin Olympe de Gouges, die Autorin und Anarchistin Louise Michel oder die Widerstandskämpferin der Résistance Germaine Tillion. Hollande wird also die Qual der Wahl haben. Schon kursiert das Gerücht, dass der Präsident zwei Namen gleichzeitig auswählen wird – einen Mann und eine Frau.
Für Staatspräsidenten ist eine Panthéonisation immer ein ruhmreicher Tag – und einer der schönen Bilder. François Mitterrand tat es sieben Mal, Jacques Chirac zwei Mal. Hollande könnte solch eine Zeremonie in Zeiten der Krise und seiner schlechten Umfragewerte gut gebrauchen. Die Lebenden richten für einige Zeit ihre Blicke nicht auf die aktuellen Probleme des Landes, sondern auf die Vergangenheit.
Egal wen der Präsident letztlich vorschlagen wird: Die Kontroverse nach Bekanntwerden des oder der Auserwählten wird sicher heftig werden – gilt das Panthéon doch als eines der streitbarsten Nationaldenkmäler. Denn es gibt immer Lebende, die den vorgeschlagenen Toten als nicht panthéonwürdig betrachten. Oder die Familie der Berühmtheit pocht auf die Grabesruhe und verweigert die Überführung. So war es 2010, als Nicolas Sarkozy den Schriftsteller Albert Camus vorschlug. Nicht zuletzt werden sich viele Franzosen fragen, ob man sich in dieser Krisenzeit eine solche teure Zeremonie leisten soll: Man rechnet mit Kosten bis zu einer Million Euro.
Die Zeitung „Le Figaro“ hat übrigens seine Leser im Internet abstimmen lassen, welche noch Lebenden denn nach ihrem Ableben ins Panthéon aufgenommen werden sollte. Die Politikerin Simone Veil stand dabei an erster Stelle. Manche Franzosen wünschen sich aber auch Starkoch Paul Bocuse, Fußballer Zinédine Zidane und Sänger Johnny Hallyday.
Im Panthéon befinden sich die Grabstätten berühmter französischer Persönlichkeiten. Das Gebäude wurde einst als Gotteshaus geplant und im Auftrag von König Ludwig XV. in den Jahren 1764 bis 1790 von dem Architekten Jacques-Germain Soufflot und seinen Schülern errichtet. Doch nach der französischen Revolution erklärten deren Anführer das Bauwerk zu einer weltlichen Gedenkstätte – seit 1791 werden hier Berühmtheiten bestattet. Der Staatspräsident entscheidet, wer hier seine letzte Ruhestätte finden darf.
Aktualisierung am 25. März 2014:
Wer ins Panthéon kommt, ist nun entschieden: Germaine Tillion, Geneviève de Gaulle-Anthonioz, Pierre Brossolette und Jean Zay. Staatspräsident François Hollande gab die Namen bekannt, vielen Franzosen sagen sie allerdings nicht viel. Zwei Frauen, zwei Männer – sie alle waren Widerstandskämpfer im Zweiten Weltkrieg.
Die Auswahl der beiden Résistance-Kämpferinnen Germaine Tillion und Geneviève de Gaulle-Anthonioz soll an die Verdienste aller Frauen erinnern, die sich an der Widerstandsbewegung beteiligt hatten. Germaine Tillion war Ethnologin und gründete eine Widerstandsgruppe. Sie überlebte die Deportation ins Konzentrationslager Ravensbrück. Auch ihre Freundin Geneviève de Gaulle-Anthonioz, die Nichte des späteren Staatschefs Charles de Gaulle, überlebte die Deportation ins KZ. Sie kämpfte ihr Leben lang gegen totalitäre Systeme. Pierre Brossolette war Journalist und Mitbegründer zweier Widerstandsgruppen. Jean Zay war vor dem Krieg Bildungsminister, 1944 wurde er von der französischen Vichy-Miliz ermordet.
Die Panthéonisierung ist geplant für den 27. Mai 2015 – am „Nationalen Tag der Résistance“.