„Autogrill“ nennen es manche Täter. Eine nicht tolerierbare Tradition und einen furchtbaren Nationalsport, so nennt es der französische Innenminister. An Silvester gingen in Frankreich wieder viele Autos und Zweiräder in Flammen auf – insgesamt 1193. Erstmals seit zwei Jahren veröffentlichte die Regierung wieder diese traurige Bilanz.
„Wenn es um den Kampf gegen Kriminalität und Unsicherheit geht, gibt es nichts zu verbergen“, sagte der sozialistische Innenminister Manuel Valls. Die Franzosen hätten die Wahrheit und Transparenz verdient. Sein konservativer Vorgänger hatte einst beschlossen, die Zahl der verbrannten Fahrzeuge nicht mehr zu nennen. Damit die Jugendlichen in den oft schwierigen Vorstädten nicht Jahr für Jahr ein Wettspiel zwischen Städten und Départements machen könnten nach dem Motto: Wer fackelt am meisten?
Viel geholfen hat das Verschweigen der Bilanz nicht. Die Zahl entspricht ungefähr der der Vorjahre, sie legte sogar leicht zu. Valls legte dieses Jahr sogar eine Liste von neun Départements vor, in denen es am schlimmsten aussah. An erster Stelle steht das Département Seine-Saint-Denis im Nordosten von Paris mit 83 Fahrzeugen. An zweiter und dritter Stelle stehen das Oberelsass (72) und das Unterelsass (70). In Mulhouse und in Straßburg-Neuhof kam es auch zu den einzigen gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen Randalierern und der Polizei, bei denen sieben Polizisten leicht verletzt wurden. Insgesamt waren in Frankreich in der Silvesternacht 53000 Polizisten im Einsatz.
Eine Regierung nach der anderen ist ratlos bei der Frage, was zu tun ist. Experten diskutieren seit langem über die Ursachen dieser Gewalt, die Frankreich seit mehr als 15 Jahren kennt. Die ersten Vorfälle passierten im Elsass, dann ging es im Großraum Paris los und breitete sich schließlich im ganzen Land aus. Zu besonders heftigen Ausschreitungen war es im Jahr 2005 gekommen, als die Krawalle in den Vorstädten von Paris nicht mehr aufhörten. Der Tod zweier Jugendlicher, die von der Polizei verfolgt worden waren, galt damals als Auslöser.
Autos brennen aber nicht nur an Silvester. Während des gesamten Jahres muss die Feuerwehr Fahrzeuge löschen, vor allem auch in der Nacht des Nationalfeiertags (14. Juli). Die Jahresbilanzen gehen mal rauf, mal runter – aber sie bleiben beunruhigend hoch: Im Jahr 2011 wurden in ganz Frankreich insgesamt 40244 Fahrzeuge (2010: 43568) absichtlich angezündet. Versicherer sprechen sogar von 60000 Fahrzeugen.
Die Zahlen zu interpretieren, ist schwierig. Denn die Motive der kriminellen Zündler sind unterschiedlicher Natur. Da sind die Jugendlichen in den schwierigen Vorstädten, die oft arbeitslos sind und sich ausgeschlossen fühlen. Für sie sei das Silvester-Autofeuer längst ein Ritus und ein banalisierter Akt geworden, der die „Monotonie einer Nacht durchbrechen soll, die zu sehr der anderen ähnelt“, so der Kriminologe Alain Bauer gegenüber der Zeitung Le Figaro. Da sind aber auch viele, die selbst ihr Auto anzünden, weil sie Versicherungsbetrug begehen. Manche tun es aus persönlicher Rache oder aus Eifersucht. Auch Diebe zünden Autos an, um Spuren zu verwischen. Einen Teil der Fahrzeuge erwischt es, weil die Flammen übergreifen. Wer erwischt wird, muss mit hohen Strafen rechnen – das geht bis zu zehn Jahren Gefängnis und 150000 Euro Geldstrafe.
Doch nicht nur diese Bilanz ist traurig. Auch der Umgang damit. Sie müsste eine Debatte auslösen über die tieferen Ursachen der Gewalt in den französischen Vorstädten, den banlieues. Eine Diskussion über Chancenlosigkeit, Rassismus, Jugendarbeitslosigkeit, Erziehung, Städtebau undundund. Kaputte Autos zählen allein ändert nichts.