Französische Kinder kauen und lutschen sie liebend gerne. Französische Zahnärzte werden wegen ihrer Existenz reich. Französische Bäcker platzieren sie gerne in der Nähe der Kasse. Und wer sie isst, hat auch noch was zu lachen.
Carambar. Das Kaubonbon ist ein Stück Frankreich. Die kleine Stange (bar-re) aus Karamell (caram-el) und Kakao hat Kultstatus bei Le Nachbar. Im Jahr werden eine Milliarde dieser Leckereien verkauft, überwiegend in Frankreich. Die Süßigkeit, erfunden 1954, hat ein halbes Jahrhundert überlebt – obwohl sie wahrlich nicht einfach zu essen ist. Das Karamellstäbchen muss man erst ein wenig anwärmen, damit es weich wird. Sonst zieht man damit beim Kauen seine Plomben. Wichtig beim Auspacken: Das dünne, glatte, gelbweißrote Papier nicht wegwerfen. Denn auf der Innenseite steht kleingedruckt – ein Witz.
Manch ein Französischlehrer in Deutschland schmeißt für seine Klasse schon mal eine Runde Carambar für Übersetzungsübungen. Aber für Deutsche sind die Kinderwitze oft schwer zu verstehen. Handelt es sich doch meist um Wortspiele, um Gags mit gleichlautenden Wörtern. Manchmal sind die Witze eher lau. Deswegen sagen Franzosen schon mal zu jemandem, der einen schlechten Witz gemacht hat: „Du bist so witzig wie Carambar.“
Ein Beispiel: „Wer weint, wenn man ihm den Kopf verdreht? Antwort: Der Wasserhahn.“
Oder lieber einen auf Französisch? „Que demandend les footballeurs chez le coiffeur? Réponse: Une coupe du monde.“
Jetzt hat Carambar den Witz des Jahres gelandet, einen großen Coup. Das Bonbonunternehmen kündigte an, dass die witzige Zeit nun vorbei sei. Ab Mitte April solle es keine Witze mehr in den Carambars geben. Stattdessen sollten dort „spielerische und erzieherische Übungen“ stehen – Vokabeltests etwa oder Fragen à la Trivial Pursuit: „Was ist ein Gulag? Ein Gebäck/eine nordische Sportart/ein Arbeitslager“. Die Ankündigung kam ganz seriös daher mit Pressemappen für die Journalisten. Die Reaktionen waren erstaunlich.
Das angebliche Ende des Witzes schaffte es flächendeckend in die Medien, sogar in die Abendnachrichten und in die Nachrichtenagenturen. Auf Facebook meldeten sich entsetzte Fans zu Wort mit Aufrufen, die Witze zu retten. Selbst der Bürgermeister des Carambar-Produktionsortes bei Lille startete eine Petition zum Erhalt der Bonbongags.
Vier Tage später gab Carambar bekannt: Haha! Die Ankündigung vom Ende der Gags sei der größte Witz des Jahres gewesen. „Haben Sie verstanden? Das wird sich niemals ändern. Danke an alle!“, heißt es in einem Video, das die monatelang geplante Marketingoperation und deren jetzigen Medienerfolg zeigt. Und die Firma zeigte sich erfreut, durch die Aktion Tausende von Liebesbeweisen erhalten zu haben.
„Die Beziehung zwischen Carambar und den Franzosen ist wie eine Liebesgeschichte. Von Zeit zu Zeit muss man sie wieder auffrischen“, so das Unternehmen. Und weil der Witz nun mal zur Marke Carambar dazugehöre, entschied man sich für einen Gag statt für eine traditionelle Werbekampagne. Sicher ist: Der Carambar-Coup zusammen mit der Werbeagentur Fred & Farid wird in die Annalen der Werbegeschichte eingehen.
Doch es bleibt ein bitterer Nachgeschmack. Nach diesem Ulk diskutiert Le Nachbar nun darüber, wie weit Marketing gehen darf. Leser anzulügen, ist eigentlich nur einmal im Jahr erlaubt – am ersten April. Aprilscherze sind alle Jahre üblich in den Medien. Aber die Leser, Hörer oder Zuschauer haben an diesem Tag die Möglichkeit, zu zweifeln und den Scherz zu entdecken. Carambar aber hat die Aktion am 21. März gemacht und am 25. März enthüllt – da hatte die Stunde des Aprilscherzes noch ganz und gar nicht geschlagen.
Der lang vorbereitete Marketing-Gag birgt aber auch Gefahren: Nicht nur, dass sich Fans und Blogger von dem Markenprodukt verschaukelt fühlen könnten. Carambar, das zur US-Gruppe Mondelez (früher Kraft Foods) gehört, hat die Medien angelogen und mit der Glaubwürdigkeit von Journalisten gespielt, die diese Lüge verbreitet haben. Carambar habe sich eine gigantische Gratis-Werbekampagne geleistet auf dem Rücken der Medien, so der Verband „Widerstand gegen die Werbeaggressivität“. Und die Zeitung Le Parisien fragt, ob die Lüge nun zum üblichen Instrument des Marketings wird.
Im Internet werfen manche Franzosen den Journalisten nun Leichtgläubigkeit, Dummheit, Manipulierbarkeit vor. Im schlimmsten Fall könnte man Journalisten Komplizenschaft zur Kommunikationsabteilung des Unternehmens vorwerfen. Die Journalisten aber vertrauten den bisher üblichen Regeln: Presseabteilungen tischen über ihre Kanäle keine derartigen Lügen auf, schon gar nicht mit professionell gemachten Pressemappen. Sie lassen eher mal Informationen weg, die wichtig wären.
„Diese Affäre riskiert, Spuren zu hinterlassen in der Kommunikation eines Konzerns, der wie alle anderen auch einmal gezwungen sein kann, Herstellungsfehler oder Sozialpläne anzukündigen “, kommentiert denn auch der Nouvel Observateur. Die verärgerten Medien könnten dann große Lust verspüren, bei zukünftigen heiklen Themen, die dieses Unternehmen betreffen, den Beweis ihrer Unabhängigkeit zu führen. Sprich: Genauer hinzuschauen, als es der Firma lieb ist.